Ernst Popper

Bericht über meine Verhaftung am 11. März und meine Haftzeit vom 11. bis 16. März 1934

Vorbemerkung: Mit Rücksicht auf alle mit der Geheimen Staatspolizei getroffenen Vereinbarungen verzeichne ich die folgenden Vorgänge zur internen Information.

[…]

Schließlich wurde ich in das im Keller des Gebäudes der Geheimen Staatspolizei befindliche Polizeigefängnis gebracht, in dem SS-Leute Dienst tun. Dieses Gefängnis hat den Charakter eines Untersuchungsgefängnisses, der Aufenthalt in den dortigen Zellen ist erträglich, die Behandlung ganz anständig. Am Abend, als zum Schlafengehen befohlen wurde, mußte ich die Entdeckung machen, daß die Bettwäsche schmutzig und gebraucht war. Ich verlangte von dem diensttuenden SS-Wachtmeister frische Bettwäsche, was er mir nach lauter Schimpfen zugestand. „Abziehen“ herrschte er mich an. Ich sollte die schmutzige Wäsche selbst abziehen und lehnte das ab. Der SS-Mann geriet in Rage, erklärte, er werde es mir schon zeigen und verschwand, um draußen eine Telefongespräch zu führen. Nach einer halben Stunde rief er mich aus der Zelle heraus und erklärte mir: „Wenn Sie in unserem guten Bett nicht schlafen wollen, dann können Sie nicht hier bleiben“ und ein zweiter dabeistehender SS-Mann bemerkte höhnisch: „Wo Du jetzt hinkommst, da wirst Du zuerst mit Schokolade begossen und dann abgeleckt“. Kurz darauf erschien ein Polizeibeamter, der mich in geschlossenen Polizeitransportwagen nach dem Konzentrationsgefängnis im Columbia-Haus in Tempelhof brachte.

Schon auf dem Hof wurde ich von einigen SS-Leuten mit höhnischen Zurufen empfangen: „Da kommt er ja, der feine Pinkel“, wurde gerufen. Im Wachtzimmer wurde ich einem Verhör unterzogen. Nach meiner Abgabe, daß ich Jude sei, erhielt ich einen Stoß gegen die Brust, sodaß ich drei vier Schritte zurücktaumelte. „Jude, das hat uns gerade noch gefehlt“ brüllte der SS-Mann, der mir den Stoß versetzte und der mich in gleicher Weise nochmals mit den Ellbogen heftig stieß, kaum, daß ich wieder an meinen Platz getreten war. Während des Verhörs mußte ich militärische Habtacht-Stellung einnehmen und es wurde auch sonst von mir verlangt, daß ich mich mit militärischer Unterwürfigkeit benahm. Nachdem man mir mit Ausnahme der notwendigsten Bekleidungsstücke alle Gegenstände, trotz meines Protestes, auch die Brille abgenommen hatte - ich bin sehr hochgradig kurzsichtig und erkenne ohne Augenglas die Dinge selbst in meiner nächsten Nähe nur schlecht - wurde ich auf den Korridor hinausgeführt, wo man mich zunächst mit dem Gesicht zur Wand längere Zeit, ich glaube eine halbe bis dreiviertel Stunde, stehen ließ. Während dieser Zeit unterhielten sich die SS-Leute damit, daß sie einer nach dem anderen zu mir hintraten, beschimpfende Reden führten und mir mit dem Revolver vor dem Gesicht herumfuchtelten. Sodann ließ man mich Marschübungen und Kniebeugen machen. Ich mußte zweimal in dreiviertel-Kniebeuge ungefähr zehn Minuten aushalten.

Zwischendurch mußte ich auch in schnellstem Tempo Laufübungen machen und zwar zwang man mich einen langen Gang, den ich auf dreißig Meter schätze, siebenundfünfzigmal hin- und zurück zu laufen. Schließlich wurde gesagt: „Jetzt machen wir Schluß mit ihm“. Einer der SS-Leute fragte mich: „Willst Du lieber erschossen oder aufgehängt werden?“ Ich erklärte, daß mir das egal sei, worauf mich der gleiche SS-Mann in einen finsteren Seitengang führte, wo ich wieder einige Minuten mit dem Gesicht zur Wand stehen mußte. Mit vorgehaltenem Revolver fragte mich sodann der SS-Mann: „Hast Du noch einen Wunsch“? „Jawohl, ich möchte Abschiedsbriefe schreiben“. „An wen“ „an meine Mutter“. Ich durfte zurück zum Wachtzimmer marschieren, wo mich der SS-Mann seinen Kameraden wieder übergab, indem er höhnte: „Er will noch einen Abschiedsbrief an seine Mutter schreiben“. Nach neuen Quälereien, die teils in Laufübungen, teils in Freiübungen bestanden, wobei ich auch mehrere Püffe und Ohrfeigen einstecken mußte, erklärte schließlich ein SS-Mann: „Jetzt werden wir ihm die Eier abschneiden“. Man führte mich ins Sanitätszimmer, wo ich die Hosen ausziehen und zehn Minuten mit dem Gesicht zur Wand Habtacht stehen mußte, zehn Minuten mit dem Gesicht zum Zimmer gewandt. Dann durfte ich die Hose wieder anziehen, mußte aber das Hemd ablegen und mit nacktem Oberkörper längere Zeit Habtacht stehen. Schließlich ging auch diese Szene zu Ende und man führte mich zuletzt in eine schmutzige Zelle, wo ich Anzug und Wäsche auf den Boden legen und mich nur mit dem Hemd bekleidet auf einen Strohsack legen mußte. Die Türe knallte zu; zehn Minuten später erschien ein SS-Mann, um mir eine schmutzige, nach Schweiß riechende Decke zuzuwerfen. Meine Nachtruhe blieb aber immernoch immer nicht ungestört. Ungefähr eine Stunde später wurde die Zellentür von einem SS-Mann aufgerissen, der eine bedrohende Ansprache an den „Scheißjuden“ hielt, dem noch eine „Kellermasche ziehen“ würde. Als dieser Quälgeist verschwunden war, hatte ich endlich drei bis vier Stunden Ruhe.

Am Montag, den 12. d.M. erschien kurz nach dem Kommando „Aufstehen“, der diensthabende SS-Wachtmeister in meiner Zelle und zwang mich unter ständigen Bedrohungen, mit Stössen und mit vorgehaltenem Revolver folgenden Satz nachzusprechen: „Ich bin ein Scheißjude und ein jüdischer Wüstenreiter“. Dann folgte das Wasch in dem gemeinsamen Waschraum, gemeinsam mit den anderen Konzentrationshäftlingen, wo mich plötzlich auf Geheiß des aufsichtsführenden SS-Manns zwei Leute festhielten und mir Kopf und Oberkörper unter den Wasserhahn drückten. Nach dieser Prozedur mußte ich unter dauernden Beschimpfungen und Bedrohungen meine Zelle und den Gang ausfegen, worauf ich ein sogenanntes Morgentraining absolvieren mußte, das in der Hauptsache in Liegestützübungen auf dem schmutzigen Boden bestand. Die Quälereien nahmen ein Ende, als ein Polizeibeamter erschien, um mich zur Geheimen Staatspolizei zurückzubringen. Ich wartete am Montag tagsüber im Polizeigefängnis der Geheimen Staatspolizei vergeblich auf ein Verhör. Am Abend wurde ich wieder im Polizeitransportwagen gemeinsam mit anderen Häftlingen nach dem Columbia-Haus zurückgebracht. Während der folgenden Tage mußte ich die außerordentlich strenge und harte Behandlung des Konzentrationsgefängnisses ertragen. Zu solchen Quälereien wie in der ersten Nacht kam es aber nicht mehr.

Bericht von Ernst Popper, Berliner Korrespondent des Prager Tablatt, vom 20. März 1934 [Auszüge], in: Bundesarchiv, S. 43 I/153, fol.159 ff.

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