Kurt von Ruffin

Die Fahrt dauerte acht Stunden, denn die Herren SS-Schweine haben noch in irgendeinem Ort, den wir passierten, gesoffen. Wir kamen ganz spät nach Berlin, und es war die Frage, wo werden wir, wie werden wir entlassen? Nichts da, wir kamen wieder in diese entsetzliche Columbiastraße, wo mich sofort ein SA-Mann, der dort Wache hatte, empfing: „Was machen sie denn hier?“ - „Ja, ich soll entlassen werden!“ - Sagte der: „Das haben schon viele geglaubt.“ So können sie sich vorstellen, in welchem Gemütszustand man sich befand. Da war ich nahe dem Zusammenbruch, das ist gar keine Frage, und das schäme ich mich nicht zu sagen.

Ich kam in die Küche, das war eine besondere Ehrung. In der Nacht, in den Nächten, ich war da noch sechs oder sieben Tage, das weiß ich nicht mehr genau, bis Herr Himmler, der dann mich selbst entlassen wollte, der war verreist, der war nicht da, deswegen hat sichs hinausgezögert, hab ich einen weiteren Mord erleben müssen. Es wurde ein Junge totgepeitscht auf seiner Pritsche. Warum, weiß man nicht. Jedenfalls zwei Nächte lang hörte man Stöhnen und Schreien, einmal bei der Brotausgabe mußte ich die Tür aufmachen und sah ihn blutüberströmt mit blutigen geschwollenen Geschlechtsteilen liegen - sie peitschten immer darauf - und da riß mich dieser SS-Mann, der mir zuerst gesagt hat, „Das haben schon manche geglaubt, sie werden entlassen“ zurück und sagte: „Um Gotteswillen, wenn sie das gesehen haben, wenn du das gesehen hast, kommste nie wieder raus!“ In der nächsten Nacht fielen ein paar Schüsse, und dann am Morgen bei der Brotausgabe sah ich aus dieser Zelle raus Blutspuren bis zum sogenannten Sanitätsraum. Da hat man wohl den Leichnam wegbefördert. Der Junge war weg. Diese ganzen Dinge waren so zermürbend, so schauderhaft, Seelenfolter, daß ich wirklich am Ende meiner Kräfte war, bis endlich ein sehr liebenswürdiger Kommissar kam und gesagt hat: „Packen sie ihre Sachen, kommen sie mit!“ - Dreivierteljahre war ich in dem Lager.

Winfried Kuhn interviewt Kurt von Ruffin im Herbst 1978 in Berlin [Auszüge], in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte 2/91, S. 4 ff.

 

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