Heinz Hentschke

Am 15. Februar 1935, in früher Morgenstunde, wurde ich in Blankenfelde, Kreis Zossen, in der Straße 54 - heute Grimmelshausenstraße - von der Gestapo festgenommen, weil ich für die "Kommune" (KPD) verbotene Druckschriften hergestellt haben sollte. Mit drei PKW, jeweils von je drei SS-Leuten besetzt, hielten sie vor der Tür des Hauses, das am Waldrand gelegen war. Sie klingelten "Sturm" und verlangten Einlaß. Nach kurzem Wortwechsel schlugen sie auf mich ein, führten eine Hausdurchsuchung aus, und prügelten mich erneut, weil ich auf ihre Fragen, an mich gerichtet, keine sie befriedigenden Antworten gab. Dann schleppten sie mich zu einem PKW, stießen mich hinein und ab ging die Fahrt zur Prinz-Albrecht-Straße 8, dem Hauptsitz der Gestapo. Dort wurde ich gleich mit Prügel empfangen und einem Gestapo-Kommissar vorgeführt. Dieser wollte wissen, was ich für die KPD gemacht habe. Diese "Vernehmung", wie später alle nachfolgenden Vernehmungen, blieben für die Gestapo ohne Erfolg. Sie zogen sich wochenlang hin.

In dem Gestapo-Gebäude gab es nicht genügend Unterkünfte für festgenommene Personen. Das allein war der Grund, daß die Verhafteten in dem Columbia-Haus untergebracht wurden, zu jeder Vernehmung zur Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht und hernach wieder zurück gefahren wurden. Die Hin- und Hertransporte im PKW führten SS-Leute aus. Wir Häftlinge nannten diese Unterkunft "Columbia-Diele". Die dort diensttuenden SS-Leute waren im Februar/März 1935: große, vierschrötige Bayern; grob, brutal und derbe Schläger; in jedem Fall: verrohte Typen. Die Unterkünfte: kleine, dunkle Zellen, die häufig mit bis zu drei Personen überbelegt waren.

An drei besonders sadistische Quälereien, an mir verübt, erinnere ich mich heute noch, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde und kann.

1. Bei einem Rücktransport von der Prinz-Albrecht-Straße 8 zum Columbia-Haus fuhr das Auto an der Möckernstraße über den Landwehrkanal. Es war eine dunkle, kalte Februar-Nacht. Plötzlich blieb das Auto stehen. Ein SS-Mann sagte zu mir gewandt: "Los, du rote Sau, steige aus, wir wollen mit dir Karl Liebknecht spielen!" Ich reagierte nicht. Erneut: "Los, raus!" Ich blieb sitzen. Daraufhin zerrten mich die SS-Männer aus dem PKW, hoben mich über die Brüstung, stießen mich die Böschung hinunter und warfen mich ins Wasser. Wieder aufgetaucht, durchschwamm ich den Kanal und erreichte mit großer Mühe das andere Ufer. Zum Glück war in der Nähe ein Ausstieg.

Mühsam erklomm ich die Plattform desselben und schleppte mich die Steinstufen hinauf. Oben angekommen, scholl mir entgegen: "Du rote Sau, mit Abhauen ist nichts!" Man packte mich mit derben Griffen und stieß mich ins Auto. In der Columbia-Diele angekommen, schleppte man mich in den Hausflur und band mich mit Stricken an einen Heizkörper. Dazu die Bemerkung: "Wir meinen es gut mit dir, du sollst nicht frieren und wieder trocken werden, vor allem deine Lumpen." Das war eine fürchterliche Nacht für mich: vom Rücken her Kälte und von vorn die unentwegt strömende trockene Hitze. Bis zum Dienstbeginn hing ich am Heizkörper. Man band mich los und ließ mich auf dem Fußboden liegen, bis der Chef des Hauses kam. Die Meldung des Transportführers: "Fluchtversuch verhindert: Die rote Sau wollte den Wasserweg nehmen."

2. Eines Vormittags erscholl, wie üblich, der Ruf: "Alles raustreten, zum Entlüften:", das heißt zur Freistunde, jene 20 Minuten, die einem Häftling zugebilligt wurden, um frische Luft zu schnappen. Natürlich unter strengster Bewachung bewegten sich die Gefangenen im Gänsemarsch-Kreislauf im Gefängnishof. Plötzlich ertönte das Kommando: "In einer Reihe Aufstellung nehmen! Zack! Zack!" Etwa 20 Häftlinge erfüllten den Befehl schnellstens. Danach ein neues Kommando: "Alles die Hosen runter!" Gesagt, getan. Zwei SS-Männer pinselten unsere Kniescheiben mit Büroleim ein. Dann das Kommando: "Auf die Erde, hinknien! Und dabei die Hosen über die linke Schulter werfen!"

Bald hatten wir den Befehl ausgeführt; wir knieten auf dem grob-sandigen Gefängnishof. Nach einer Weile: "Alles aufstehen! Zack! Zack! - ohne Tritt, einrücken!" Wir setzten uns befehlsgemäß in Richtung Hauseingang in Bewegung. Im Vorflur neuer Befehl: "Zu dreien formieren! Hinknien! - Singen: 'Großer Gott, wir loben dich. Herr, wir preisen deine Stärke.' Lied, steigt! Drei, vier! Los, die Treppe kniend rauf!" Ein fürchterlicher Schmerz beherrschte jeden von uns. Unser Lied ging unter, von Schmerzensschreien und Gewimmer übertönt. "Was, das nennt ihr singen!? Das ist je eine reine Gotteslästerung! - Sofort aufhören!" Und schon fielen SS-Männer über uns her. Sie knüppelten uns in unsere Zellen. Dort angekommen fielen wir kraft- und willenlos zu Boden. Lange noch waren Wimmern und Aufschrei zu hören.

3. Einen besonderen "Scherz" leistete der SS-Mann Alois sich mit mir. Eines Morgens, gleich nach dem Frühstück, reichte er mir ein Fläschchen mit Rizinusöl gefüllt in die Zelle: "Los, sofort austrinken! Er blieb stehen, bis ich den Inhalt geschluckt hatte. Im Verlauf des Vormittags verspürte ich ein Drängen und, weil ich mal mußte, warf ich die Fahne, ein Zeichen aus Blech, das herausgeschoben werden mußte, sollte ein Wachtmeister kommen. Alois kam, öffnete und fragte barsch: "Was willst du rote Sau!? - "Ich muß mal!" - "Ach, ich habe jetzt keine Zeit! Scheiß in dein Freßnapf!" Was blieb mir übrig, ich tat es mit Widerwillen. Dann warf ich erneut die Fahne. Jedoch, Alois kam und kam nicht. Mittagszeit, Essen wurde ausgegeben. Meine Tür wurde aufgeschlossen. Ich hielt dem Alois meine Eßschüssel hin. "Bitte, Herr Wachtmeister, erst muß ich meine Schüssel lehren, um Essen zu empfangen." Er: "Du Drecksack, jetzt habe ich keine Zeit!" Bums, war die Türe wieder zu. Nach der Essenausgabe schloß er meine Zellentür auf: " Raustreten, mit deinem Freßnapf! Mitkommen!" Aber, es ging nicht zum Toilettenraum, sonder in das Dienstzimmer der Wachtmeister, darinnen einige SS-Männer rauchend saßen. Alois: "Hier, eini!" Ich stand gehorsam mit meiner Eßschüssel in strammer Haltung vor den SS-Leuten. Alois: "Kamraden, dieses rote Schwein hat in sein Freßnapp geschissen, bloß weil er mehr drinn haben wollte!" Die Anwesenden brachen in ein Wiehern aus. Ein SS-Mann stieß mit seinem Fuß gegen den Boden meiner Eßschüssel, so daß diese mir, mit Inhalt, zum Teil ins Gesicht flog. Erneutes rohes Lachen. Gleich danach mußte ich Fußtritte und Faustschläge hinnehmen. Mit meinen bloßen Händen mußte ich meine Umgebung reinigen und meine Finger an meinem Anzug abwischen. Aber, was das Schlimmste war, an diesem Tag bekam ich kein Mittagessen. Außerdem mußte ich den zerbrochenen Eßnapf aus meiner Tasche bezahlen. Andern Tags verhielt sich Alois, als sei überhaupt nichts geschehen.

Bericht von Heinz Hentschke vom 29. September 1990 für den Band: Kurt Schilde und Johannes Tuchel: Columbia-Haus.Berliner Konzentrationslager 1933 - 1936. Hrsg. vom Bezirksamt Tempelhof von Berlin, Berlin 1990, S. 127 ff.

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