Unbekannter SA-Mann

Am 30.6.1934 vormittags 11 Uhr wurde ich im Verlauf der Aktion, die auch das Amt betraf, in dem ich beschäftigt war, mit einigen anderen Kameraden sicherungshalber, ohne dass ein Haftbefehl geben uns vorlag, sistiert. Ein Haftbefehl lag nur gegen 3 Kameraden aus dem Amt vor, die übrigen Kameraden hatten sich in Unkenntnis der Sachlage zur Verfügung gestellt. Wir wurden zusammen in das Gebäude der Gestapa geführt und warteten dort unter Bewachung eines Kriminalbeamten bis gegen 14 Uhr auf unsere Vernehmung. Wir wurden aber nicht vernommen, sondern kurz nach 14 Uhr erschienen einige schwer bewaffnete SS-Leute.

Etwa 14 3/4 Uhr kam ein Kriminalbeamter und teilte uns mit, dass wir nach einem anderen Ort, der uns auch auf Anfrage nicht mitgeteilt wurde, überführt würden. Bei dem geringsten Versuch, sich umzuwenden, oder bei der geringsten Bewegung, die auf einen Fluchtversuch deuten liesse, seien die Wachleute gehalten, von ihrer Schußwaffe Gebrauch zu macnen. Wir wurden in einen offenen Lastwagen verladen und in das ehemalige Militärstrafgefängnis Columbiahaus in Tempelhof gefahren. Dort wurden unsere Personalien festgestellt, alsdann wurden wir zu Einzelhaft in die Zellen abgeführt.

Nach etwa 2 Stunden führte man uns in einen Saal, in dem uns unsere sämtlichen Privatsachen und von den Kleidungsstücken Schlipse, Gürtel bezw. Hosenträger und Strumpfbänder abgenommen wurden. In der darauffolgenden Nacht wurden wir etwa 7 mal durch SS-Führer geweckt und in nicht allein barschem, sondern geradezu ungehörigem Ton nach Namen, Dienstgrad, Parteizugehörigkeit usw. gefragt. Man bezweckte wohl damit, uns nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Die Toilette konnten wir aufsuchen, nachdem wir uns durch Klopfen und Herausschieben eines Metallriegels bemerkbar gemacht hatten. Auch auf der Toilette stand ständig ein SS-Mann mit geladenem Gewehr vor dem Betreffenden. Auf unsere dringende Frage hin, was nun eigentlich los sei, wurde uns jede Auskunft verweigert. Die Verpflegung war ausgesprochen schlecht. Die Verhältnisse besserten sich erst, als am Montagabend SS-Männer von der Leibstandarte Adolf Hitler zur Bewachung eingeteilt wurden. Durch die SS-Männer der Leibstandarte erfuhren wir, was unterdess passiert war, erfuhren von dem Aufruf des Führers, dem Aufruf des Stabschef Lutze und den Erschiessungen.

Die SS-Leute der Leibstandarte haben uns allen jede nur mögliche Erleichterung zuteil werden lassen. Am Mittwochabend gegen 19 Uhr wurden alle Zellen aufgeschlossen und verschiedene Namen aufgerufen. Nachdem wir unsere Privatsachen zurückerhalten hatten, wurden wir in einen Gang des Columbiagefängnisses geführt und bekamen dort von einem Beamten der Gestapo die Mitteilung, dass wir wegtransportiert würden. Wir wurden wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die SS-Wachmannschaften gehalten wären, bei dem geringsten Versuch, sich irgendwie selbständig zu machen, ohne Anruf zu schiessen. Als wir auf den Hof kamen, stand dort schon ein Lastwagen, der voll beladen war, wie wir hörten, waren dies Kameraden, die in dem Gefängnis der Gestapo selbst gesessen hatten. Für jeden Mann von uns war ein SS-Mann als Bewachung. Die Fahrt ging los etwa um 21 Uhr.

Nach allem was wir gehört hatten und nachdem, wie diese neuen SS-Leute der Leibstandarte sich gegen uns verhielten, glaubten wir alle, wir würden nach Lichterfelde zum Erschiessen gefahren. Als wir an Lichterfelde vorbeifuhren und in die Chaussee nach Potsdam einbogen, wähnte alles, nun würde man uns wohl irgendwo im Wald hinter Potsdam umlegen. Die Stimmung unter den Kameraden, die sich nur durch Blicke und durch einen verstohlenen Händedruck verständigen konnten - es war Sprechverbot - war geradezu furchtbar. Donnerstag morgen gegen 4 Uhr fuhren wir in den Hof des Konzentrationlagers Lichtenburg ein.

Bericht vom 7. August 1944 [Auszüge]. Bundesarchiv, NS 23/ vorl. 434.

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