Willi Belz

Am 11. Oktober 1933 wurde ich – politischer Leiter des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands im Bezirk Hessen-Waldeck, Sitz Kassel – in Berlin von der Gestapo verhaftet und in die berüchtigte Zentrale der Gestapo Prinz-Albrecht-Straße gebracht, wo ich auf der SS-Wache weitere zwölf Bezirksfunktionäre antraf, auf Stühlen sitzend, wobei wir nur Blickkontakte hatten, weil jedes Wort untereinander verboten war. Wir wurden einzeln zur Vernehmung in den vierten Stock der Gestapozentrale geholt. Die unter Faustschlägen begonnenen und mit Nilpferdpeitschen verschärften "Vernehmungen" überstand ich nur darum lebend, weil ich die Vernehmer mit einer Falschaussage irreführte, die meine Überstellung nach Kassel zwecks vermeintlicher weiterer Ermittlungsergebnisse notwendig machten.

Durch die Folter körperlich an vielen Stellen geschunden, zusätzlich durch Hunger geschwächt, wurde ich mit einigen mir nicht bekannten Gestapo-Häftlingen in den späten Abendstunden auf einem offenen Einsatzwagen unter SS-Kommando zum Columbia-Haus am Tempelhofer Feld transportiert, das früher eine Militär-Arrestanstalt war und jetzt unter der Leitung der Gestapo und Einheiten der SS-Leibstandarte zur Hölle für führende Funktionäre der KPD, der SPD und anderen Organisationen geworden war.

Wir wurden mit Schlägen und Fußtritten in den Bau gejagt, wo uns ein Trupp der SS-Bestien schon zynisch grinsend und mit Hallo in Empfang nahm. An der Wand des Flurs hatten wir so Aufstellung zu nehmen, daß die Nasenspitze und die Fußspitzen die Wand berührten. Einzeln wurden wir in die Wachstube gestoßen, in der ein SS-Unterführer die Personalien aufnahm und uns Hosenträger und Gürtel abgenommen wurden. Ein unerwarteter harter Tritt des SS-Schreibers auf einen Fuß galt sozusagen als Aufnahmestempel. Während der etwa einstündigen Aufnahmeprozedur brach der eine oder andere Häftling ohnmächtig zusammen, wieder aufgerichtet durch eine scharfe Essenz seitens eines SS-Arztes. Auch mir erging es so.

Wer aber jetzt erwartete, endlich in eine Zelle eingeschlossen zu werden und auf eine Pritsche sinken zu können, der befand sich im Irrtum. Ein schriller Pfiff und Kommandos jagten die Ankömmlinge im Laufschritt durch den gesamten kasernenmäßigen Bau vom Erdgeschoß bis zum obersten Stockwerk. Am Anfang und Ende jedes der langen Korridore befanden sich Flügeltüren. Davor und dahinter, auf jedem Treppenabsatz, standen die SS-Bestien, bewaffnet mit Gummiknüppeln, Hundepeitschen, Schemelbeinen, Ochsenziemern und Sonstigem auf der Lauer, schlugen mit den Rufen "Wollt ihr laufen, ihr Schweine" auf unsere Köpfe und anderen Körperteile ein. Wer vor Erschöpfung oder als Folge von Schlagwirkung niederstürzte, wurde so lange bearbeitet, bis er wieder aufsprang und weiterlief. Mancher blieb besinnungslos liegen. Diese wahnsinnige Attacke dauerte etwa eine Stunde, die zur Ewigkeit wurde. Dann erst wurden die Zellen aufgeschlossen und die Häftlinge hineingestoßen.

Ich stürzte über eine etwa 30 Zentimeter hohe Holzpritsche der Länge nach hin. Vier Leidensgenossen standen stramm unter dem Gitterfenster der Zelle im Halbdunkel und machten dem SS-Posten Meldung mit Belegungszahl und Nummer. Soviel nahm ich noch wahr, daß einer von seinen Kameraden gehalten werden mußte. Wie ich im Nachhinein erfuhr, war ihm bei den Mißhandlungen durch die Gestapo die Niere losgeschlagen worden. Ich war, so wie ich auf die Pritsche ohne Matratze hinfiel, auf dem Bauche liegengeblieben und versank kurz danach in einen ohnmächtigen Schlaf, der meine unsäglichen Schmerzen am ganzen Körper für einige Zeit betäubte. Lange sollte das nicht sein. Zellengenossen rissen mich hoch, in ihre Reihe unter das Fenster zerrend. Die Nachtposten machten sich ein Vergnügen daraus, entweder die Zellentür blitzschnell aufzuschließen und so die Insassen zur Meldung hochzujagen, oder nur durch Einstecken des Schlüssels die gleiche Wirkung zu erzielen. Wer nicht schnell genug unter dem Fenster stand, mußte unweigerlich damit rechnen, aus der Zelle herausgeholt und auf dem Flur unter Schlägen und Tritten hin- und hergejagt zu werden. Das Opfer mußte dabei in Hockstellung gehen, mit den Händen die Fußgelenke erfassen und hüpfen.

Über allen Gestapo-Häftlingen schwebte Nacht für Nacht noch eine andere furchtbare Drohung. Die SS holte nacheinander Opfer aus ihren Zellen und schleppte sie in den Keller. Dort wurden sie auf einen langen Tisch gelegt, an Händen und Füßen festgehalten und von mehreren SS-Leuten zugleich von beiden Seiten mit Hundepeitschen geschlagen. Da die Körper bis zu den Kniekehlen entblößt wurden, löste sich die Haut oft in Fetzen ab. Dann wurden nasse Handtücher aufgelegt. Wer bewußtlos wurde, bekam kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Oft wohnten den Torturen Gestapobeamte aus der Prinz-Albrecht-Straße bei, um noch weitere Aussagen aus den Delinquenten herauszuprügeln. Mancher überstand die Qualen nicht lebend. Ich hatte das Glück, in den wenigen Tagen meiner Unterbringung im Columbia-Haus nicht in den Keller geholt zu werden, aber allein die Erwartung dessen war schon genug.

Ich wurde schon am fünften Tage meines Aufenthaltes im Columbia-Haus aus der Zelle geholt und zur Prinz-Albrecht-Straße zurückgebracht, um von dort aus in Begleitung von zwei Gestapo-Beamten in einem D-Zug-Sonderabteil nach Kassel zu fahren. Für die fünf Tage Hölle Columbia-Haus hätte ich gut und gern ein bis zwei Jahre normale Gefängnishaft eingetauscht.

Aus Gründen strengster Regeln der Konspiration verbot es sich, untereinander etwas über Herkunft, politische Vergangenheit und auch nur das auszutauschen, was Gegenstand der Vernehmung durch die Gestapo war. Das verursachte viele Stunden des Schweigens und der Unterhaltung nur über belanglose Dinge. Wer konnte wissen, wen die Gestpo als Spitzel oder unter dem Druck von Foltern erpreßbar geworden eingeschmuggelt hatte. Die moralische Seite des politischen und menschlichen Zusammenhalts gegen den gemeinsamen Todfeind überwog aber die Notwendigkeit, bestimmte Vorsichtsregeln zu beachten. Ich kann also im Nachhinein nicht angeben, mit wem alles ich meine Tage im Columbia-Haus zugebracht habe.

Originalbericht vom 22. Oktober 1990 [Auszüge]. Willi Belz hat seine Erinnerungen in den Büchern Die Standhaften, zuerst Kassel 1960, und Soldat gegen Hitler, Köln 1987, veröffentlicht.

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