Karl Schirdewan
In Berlin fuhren wir zur Prinz-Albrecht-Straße. Ich mußte in der Gestapozentrale aktenkundig bestätigen, von meiner Verhaftung Kenntnis zu haben. Bei dieser Gelegenheit entschuldigte sich Kaiser bei mir. Im Angesicht der Gestapoleute war mir diese Szene besonders peinlich, und ich reagierte mit einer abwehrenden Handbewegung sehr abweisend darauf.
Nachdem ich auf irgendeinem Formblatt meine Unterschrift geleistet hatte, wurde ich wieder in eine "grüne Minna" verfrachtet. Das Fahrtziel blieb mir unbekannt. Ich hoffte auf das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Dort hätte ich mich ein wenig ausruhen können. Doch die Reise ging ganz woandershin.
Die erste Stunde des 21. Februar war schon verstrichen, als das Fahrzeug vor einem kasernenartigen Gebäudekomplex hielt. Der Empfang gestaltete sich wahrhaft "umwerfend". Ich wollte aussteigen, da erhielt ich bereits einen Faustschlag ins Gesicht. Eine SS-Wache nahm mich in Empfang. Mit einem Schlag wurde mir klar, daß ich mich in der berüchtigten Berliner Columbia-Hölle, dem Gefängnis des Geheimen Staatspolizeiamtes, befand. Es unterstand zu diesem Zeitpunkt dem noch nicht dreißigjährigen Reinhard Heydrich. Hier sollten wir Gefangenen für die kommenden Verhöre erst einmal weich gemacht werden. Hier sollte unser Wille gebrochen werden.
Blitzschnell besann ich mich, was ich zu meiner Identität und meinem Verhaftungsgrund angeben sollte. "Ich hatte Flugblätter", erklärte ich meinen neuen Vernehmern. Und schon wußten diese brutalen Schufte nicht weiter. Sie gossen einen Eimer kaltes Wasser auf den Boden und zwangen mich, es mit einem winzigen Lappen aufzuwischen und wieder in den Eimer zu befördern. Diese Prozedur wurde mehrfach wiederholt und zog sich fast eine Stunde hin. Ich schwitzte sehr, doch viel schlimmer waren die Schmerzen, die mein zerschlagener Rücken bei jeder Bewegung auslöste.
Bald fingen die Peiniger wieder an, bündlings auf mich einzuschlagen. Ich sagte von nun an einfach nur: "Ich bin Kommunist." Und man rief mich fortan so. Weiter behauptete ich, in keiner Organisation gearbeitet zu haben. Mir seien die Flugblätter einfach so in die Hände gekommen, und ich hätte sie dann halt weiterverteilt. Natürlich nahmen sie mir diese Geschichte nicht ab. Die Folter ging weiter. Bald merkte ich, daß in der Columbia-Hölle nach einem ganz bestimmten Programm gequält wurde. Nach anderthalb Stunden Prügel führten mich die faschistischen Bestien auf den Gefängnishof. Ich mußte an der Mauer eine Vertiefung graben. Anschließend stellten sie mich davor und fragten, ob ich noch immer Kommunist sei. "Ja, ich bin Kommunist."
Sie haben mich trotzdem nicht erschossen, und ich dachte mir, daß diese Foltertruppe für Exekutionen keine Vollmacht besaß. Die Gestapo war schließlich an unserem Wissen interessiert. Ungeachtet dessen belasteten mich diese bösen Szenen bis zur völligen Erschöpfung.
In diesem Zustand stieß man mich in eine Zelle. Nur flüchtig nahm ich einen Mitinhaftierten wahr. Aber der Genosse wurde schon am nächsten Tag verlegt. Ich schlug auf der freien Holzpritsche der Länge lang hin und schlief auf der Stelle ein. Das gehörte zu meinen Überlebenstechniken - sofort vor Erschöpfung einzuschlafen. Furchtbar war dann allerdings immer wieder das Wecken. Den anschließenden Gang zur Toilette gestalteten unsere Aufseher zu einer besonderen Quälerei, gab es doch in der Zelle selbst keinerlei Möglichkeit zur Verrichtung der Notdurft. Die Zeit dafür war so knapp bemessen, daß man nach wenigen Sekunden, bevor man überhaupt zum Zuge kam, die Toilette schon für den nächsten freimachen mußte. Das war natürlich mit außergewöhnlich gehässiger Absicht ersonnen. Ich konnte dem nur unter Nutzung meines Blechtrinkgefäßes begegnen. Den Urin verteilte ich dann langsam an der Zellenmauer, meine Notlösung wäre natürlich unterbunden und mit Strafe vergolten worden. In die Zelle traten unsere Bewacher kaum, da hatten sie wohl doch Bedenken.
Am Abend wurde ich dem Arzt, natürlich einem Nazi, vorgestellt. Ihm assistierte ein SS-Sanitäter. "Na", fragte mich der Mediziner mit lauerndem Blick, "was haben Sie denn da am Rücken? Sie sind wohl hingefallen, oder wie?"
"Jawohl, ich bin hingefallen."
"So, so", er grinste hämisch. Und auch der Sanitäter mußte seinen Senf dazugeben. "Das ist doch ein Blonder! Na warte, dich ficken wir noch zu einem Germanen um!" Derartige Ausfälle berührten mich wenig, aber sie verdeutlichen, wie perfekt das Zusammenwirken innerhalb dieser bestialischen Maschinerie aufeinander abgestimmt war.
So vergingen vierzehn Tage. Meine Lage wurde immer unerträglicher. Die Ernährung blieb konstant schlecht. Zum Frühstück bekam ich nichts weiter als einen Viertelliter Blechnapf voll von einer undefinierbaren Plempe und ein einziges Marmeladenbrot. Noch mehr belastete mich jedoch die permanente Überwachung. Da wir politische Gefangene grundsätzlich als suizidgefährdet eingestuft waren, hatte man uns nicht nur Hosenträger, Gürtel, ja praktisch alle privaten Gegenstände weggenommen, sondern kontrollierte darüber hinaus alle zehn Minuten unsere Zellen. Dieser regelmäßige Blick zu jeder Tages- und Nachtzeit durch den Spion brachte ein besonders unangenehmes Gefühl des Ausgeliefertseins mit sich. Schlimmer war jedoch, daß es nicht bei der bloßen Observation blieb. Nicht selten vertrieben sich die sogenannten Freiwachen, eine zirka zwanzig Mann starke, gerade wachfreie Schicht von SS-Mannschaften, ihre Zeit mit Quälereien der Häftlinge. Einmal holten sie auch mich in das Wachlokal. Die Mehrzahl der SS-Leute lag auf den Pritschen. Sie musterten mich höhnisch. Einer stand auf und sagte zu mir: "Ich nehm jetzt mein Koppel ab. Und du wirst mir jetzt immer die Kommas und Punkte nennen. Und überhaupt wirst du mir alles nachsprechen!" Also fing er an: "Ich bin ein Hochverräter." Batsch - schon hatte ich den ersten Schlag mit dem Koppel ins Genick bekommen.
"Ich bin ein Schwein."
"Ich bin ein Strolch."
"Ich bin ein Kommunist, ein dreckiger, elender Schuft…" So ging das eine ganze Zeit lang weiter. Hätte ich mich dieser Erniedrigung verweigert, wäre ich als Krüppel aus dem Zimmer gekommen. Aber auch so hatte ich von den Schlägen dieses SS-Lumpen am Kopf und im Gesicht Wunde an Wunde und blutete fürchterlich.
Ein anderes Mal führte mich einer in den Gefängnishof, stellte mich an die Mauer und steckte mir den Lauf seiner Pistole in den Mund. In der Nähe standen zwei Häftlinge, die diese Szene entsetzt beobachteten. Ich konnte ihre Gedanken in den weit aufgerissenen Augen lesen: Jetzt wird der ihm den Kopf zerreißen! Doch nichts geschah: Mit solchen Scheinerschießungen wollten sie uns mürbe machen. Doch dazu hätte ich mich ängstigen müssen, aber ich spürte keine Ängste mehr. Härte und Festigkeit prägten mein ganzes Verhalten. Was in meinem Gehirn vorging, kann ich heute im einzelnen nicht mehr nachvollziehen, aber eines weiß ich noch genau: Ich war frei von jeder Furcht. Es war unter diesen Umständen eine sehr gute Sache, keine Furcht mehr zu empfinden. Mehrfach geriet ich in solcherart Situationen, sie waren dort an der Tagesordnung.
Schlimmer war es, wenn man Zeuge der Qualen anderer Gefangener wurde. Ich spüre heute noch die Wut über die eigene Ohnmacht, die sich in mir aufstaute, als ich zusehen mußte, wie eine von den SS-Bestien dem Häftling in der gegenüberliegenden Zelle den schweren Schlüsselbund für die Kerkertüren aus irgendeinem nichtigen Grund regelrecht in die Stirn hineinhieb. Der so mißhandelte Genosse, ebenfalls ein Kommunist, stürzte blutüberströmt und bewußtlos hin.
Karl Schirdewan: Ein Jahrhundert Leben. Erinnerungen und Visionen, Berlin 1998, S. 124 ff.