Johannes Lukowski
Ich, Johannes Lukowski, geb. 11.2.1889, früher wohnhaft: Charlottenburg, Mollwitzstrasse 4-5, jetzt: Lichtenberg, Plöseweg 10, wurde am 29. April 1933 von Papestrasse in das „Columbiahaus“, Tempelhof, das von der SS besetzt war, eingeliefert. Dort verblieb ich bis Ende September desselben Jahres. Bei meiner ersten Vernehmung durch den SS-Mann Rautenberg war auch der Obengenannte [Karl Fitzner] anwesend. Mir wurde erklärt, ich soll die illegale rote Fahne verteilt haben und sollte nun sagen, wo ich dieselbe her hatte und wo sie gedruckt wurde. Darauf konnte ich keine Antwort geben, weil ich es nicht wusste. Mir wurden 10 Minuten Bedenkzeit gegeben. Als die Zeit um war, fragte R. mich wieder: Hast es Dir schon überlegt? Ich konnte wiederum dazu keine Antwort geben. Runter mit ihm in den Keller sagte Rautenberg und bringt ihm das Reden bei. Darauf stürzten sich Boxer Karl und noch ein SS-Mann auf mich und trieben mich in den Keller. Jeder mit einer Peitsche in der Hand; die sogenannten Nilpferdpeitschen. Im Keller stand ein langer schmaler Tisch über den ich geworfen und angeschnallt wurde. Darauf fingen die Beiden an zu schlagen.
Nach den ersten 25 Schlägen wurde ich gefragt, ob ich nun etwas wüsste. Ich sagte nein! Darauf schlugen die beiden los. Ich zählte ungefähr bis 70, dann wurde ich bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, dass meine Körperteile angeschwollen waren und furchtbar brannten. Vor mir stand ein SS-Mann und sagte: „Hat’s geschmeckt und brachte mich wieder ins Vernehmungszimmer zu Rautenberg. Er fragte mich, ob ich es mir jetzt überlegt habe. Ich gab zur Antwort: Ich habe nichts zu überlegen und wurde wieder in meine Zelle geführt. Acht Tage später wurde ich wieder einem Verhör unterzogen und ging denselben Weg wie das erste Mal. Nur mit dem Unterschiede, dass ich diesmal nicht bewusstlos wurde. Als ich nach den ersten 50 Schlägen nichts sagte, wurde ein Eimer Wasser über meinem Körper geschüttet und weiter geprügelt. Ich habe die Zähne zusammengebissen und keinen Laut von mir gegeben.
Es können diesmal an die 150 Schläge gewesen sein, von denen ich aber nur eine kurze Zeit benommen war. Ich konnte sogar noch verstehen, wie „Boxer Karl“ zu dem andern SS-Mann sagte: „So klein wie der Kerl ist, aber ein Fell wie ein Elefant, den platzt es nicht.“ Ich wurde wieder zur Vernehmung geführt und gefragt, ob ich nun aussagen will. Ich beteuerte, dass ich von nichts wisse. Was mir zur Last gelegt wird, die „Rote Fahne“ verteilt zu haben, muss ich entschieden in Abrede stellen. Die Zeitung habe ich im Wettladen u.a. Zeitungen liegen sehen und habe sie dem Kollegen Benno Abel gereicht, der sie zu sich nahm. Er machte mich nochmals darauf aufmerksam, wenn ich nichts sage, komme ich 5 Jahre nach Oranienburg ins Lager und in der Zeit werden meine Töchter verheiratet sein. Von den Schlägen war mein Körper schwarz und blau, von den Fersen bis zum Hals. Ich konnte nur auf dem Bauch liegen und auf den kahlen Fliessen. Es vergingen einige Wochen, es war morgens Anfang Juni,beim Appell wurde gefragt, ob Rohrleger und Helfer unter uns wären, auch Schlosser könnten sich melden. Ich meldete mich nicht.
Da kam ein SS-Mann mit der Liste, rief jeden seinen Namen auf und dabei musste ein jeder seinen Beruf angeben. Als ich meinen Beruf nannte, kam Boxer Karl auf mich gestürzt und brüllte: „Du Misthund bist Klempner und meldest Dich nicht!“ Er versetzte mir einen Faustschlag ins Gesicht, dass mir im Oberkiefer sämtliche Zähne locker und einige ausgeschlagen wurden. An mich trat nun der Hausvater heran und sagte: „Wenn ich Klempner bin, dann verstehe ich auch Rohrleger-Arbeit. Er brauche unbedingt Fachleute zum Ausbau der Toiletten. Ich soll mich melden und es wird für mich zum Vorteil sein. Mir lief das Blut aus Mund und Nase, dass ich kaum sprechen konnte. Er nahm mich herauf auf seine Stube und gab mir ein Glas Wasser mit einer Flüssigkeit darin, so dass ich mir den Mund ausspülen konnte und versprach mir gegen Abend den Arzt vorzuführen.
Dies geschah auch tatsächlich. Der Arzt zog mir 3 Zähne, zwei waren mir schon vorher herausgefallen. Ich musste fleissig spülen und bekam einen Verband. Der Hausvater sprach mit dem Arzt und dieser wurde mit einmal sehr freundlich zu mir. Ich sollte dem Hausvater Gehör schenken und alles tun, was er von mir verlangt, dann wird sich alles zu meinen Gunsten wenden. Am nächstgen Tage wurde ich wieder vom Hausvater geholt und er stellte mich einem Ingenieur Meier vor. Dieser breitete vor mir eine Zeichnung aus, auf der ein Rohrnetz und Klosettanlagen aufgezeichnet waren. Er fragte mich, ob ich die Zeichnung lesen kann. Ich bejahte! Er sprach alle Einzelheiten mit mir durch und sagte, ich werde die Arbeiten übernehmen und leiten. Die Leute zum Arbeiten werden mir gestellt; führe ich die Arbeiten zu seiner Zufriedenheit durch, so wird es für mich zum Vorteil sein. Er stellte noch verschiedene Fragen an mich, ob ich mich an Schlägereien beteiligt oder jemand totgeschlagen habe. Ich erklärte ihm, dass ich beides nicht getan habe. Darauf ging er zu einem grossen schlanken SS-Mann mit dunklem Haar und dunklen Augen. Ich erfuhr, dass es Diehls war. Mir wurde anheimgestellt, über alles was ich hier sehe, und höre, zu schweigen und mit niemandem darüber zu sprechen. Ich hatte ungefähr 8 Tage mit den Arbeiten begonnen und lernte so die Kellerräume und das ganze Gebäude kennen.
Was ich hierbei zu sehn bekam, war noch schlimmer als das, was ich bisher erlebt habe. Menschen, die kaum noch Menschen ähnlich sahen, zerschlagen und zerschunden, schwarz wie die Neger; an Händen und Füssen gefesselt, am einem Fuss ein 25 Kilogewicht, wie man es Pferden anmacht, die ausschlagen tun. Diese Häftlinge standen unter besonderer Obhut von Boxer Karl. Ihnen wurde nur einmal am Tage Essen gereicht, eine trockene Scheibe Brot und ein Krug Wasser dazu. Später habe ich feststellen können und aus den Reden der SS-Männer entnommen, dass verschiedene dieser Häftlinge erschlagen und erschossen worden sind. In verschiedenen Nächten habe ich auch Schüsse fallen hören. und wenn ich wieder mal Gelegenheit hatte, in die Zellen hineinzublicken, dann waren schon wieder andere Häftlinge drin. Wie ich bereits oben erwähnte, kamen alle diese Taten auf das Konto von „Boxer“, so wurde Fitzner von den SS-Männern kurz genannt.
An einem Tage als ich die alten Latrinen anfing abzureissen und wir unser Mittagessen hinter uns hatten, wurde auch das Essen für die im Erdgeschoss Inhaftierten gereicht. Es bestand aus einem Stück Brot und einem Krug Wasser. Ich hörte wie Boxer Karl zu dem andern SS-Mann sagte: „Nun wollen wir mein Vieh füttern. Er hatte einen Stock der genau aussah wie ein Räucherspiess. Er spickte jedesmal eine Scheibe Brot auf und reichte sie den gefesselten Häftlingen. Nahmen sie das Brot nicht, dann sagte Boxer-Karl, das Vieh hat noch keinen Hunger, und der Häftling wurde von ihm mit dem Spiess bearbeitet. Es verging selten ein Tag, an dem Häftlinge nicht gequält und auf unmenschliche Weise geschlagen wurden. Am meisten wurden diese Schlägereien und Quälereien im Keller neben der Heizung ausgeführt; dem sogenannten Folterkeller, in dem auch ich geschlagen wurde. An einem Tage wurde wieder ein Häftling in den Keller hineingezerrt, er kann 1,75 gross gewesen sein und war von stämmiger Figur, die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt.
Boxer Karl stand mit aufgekrempelten Armen vor dem Eingang zum Keller, schwang seine Nilpferdpeitsche und stürzte sich auf sein Opfer. Es erging dem Häftling genau wie mir, auch er wurde mit Wasser begossen und so geschlagen, dass ich sein Schreien, das sich zuletzt in Brüllen verwandelte, noch weit aus der Ferne hören konnte. Ich ging wieder an meine Arbeit in den Keller nebenan und konnte verstehen, wie man den Häftling befragte; und hörte den Namen „Karl“, den Nachnamen konnte ich nicht verstehen. Er gab an, Rohrleger zu sein und wohne in Steglitz. Dort soll ein SA-Mann erschlagen worden sein und er sei dabei beteiligt gewesen. Nun sollte er die Mitbeteiligten und den Täter nennen. Ich konnte die anderen Folterungen nicht mehr anhören, da ich von einem SS-Mann zu einer andern Arbeitsstelle geschickt wurde. Er fragte mich, ob ich etwas gesehen und gehört habe, ich verneinte. Dieser SS-Mann war etwas zugänglicher und noch nicht ganz so verroht wie die meisten von ihnen. Ich tat mich schon des öfteren mit ihm unterhalten. Er gab an, im Goethepark Charlottenburg, zu wohnen, aber seinen Nachnamen nannte er mir nicht.
Am nächsten Tage erfuhr ich, dass der Häftling Karl vom Tag zuvor in Zelle 3 nach Parterre gekommen war. Ich wollte nun versuchen seinen Zunamen in Erfahrung zu bringen, aber das war sehr schwierig, denn jedes Sprechen mit Häftlingen kostete 50 Schläge Peitschenhiebe. Die Häftlinge im Parterre wurden von den SS-Männern als schwere [Jungs] bezeichnet, hatten keine Freistunde und wurden einzeln über die Stange geführt, da noch keine Toiletten vorhanden waren. Am dritten Tage morgens -, es kann der 9. Juni 1933 gewesen sein, bekam ich den Häftling Karl von Zelle 3, als ich von der Stange kam, zu sehen; bekleidet war er nur mit Hose, Rock und Hemd heruntergerissen. Gesicht zerschlagen, grün und blau, der Rücken schwarz mit Blut unterlaufen, die Brust mit lauter Brandblasen bedeckt, denn bei den Folterungen wurden brennende Zigaretten solange auf die Haut gesetzt, bis die Zigarette oder Zigarre ausging. Ich versuchte an meinen Leibeskameraden heranzukommen, so dicht wie möglich, um ihn nach seinem Zunamen zu fragen. Ich plinkte ihm mit den Augen zu, damit er merken sollte, dass ich etwas sagen will.
Als wir in gleicher Höhe waren, fragte ich ihm im Flüsterton: „Wie heisst Du“? Da war auch schon der Wachhabende SS-Mann neben mir und verserzte mir ein paar Fausthiebe.ins Gesicht, dass mir mein noch nicht verheilter Mund zu bluten anfing. Ich durfte nicht mehr weiter arbeiten und wurde in meine Zelle abgeführt. Am nächsten Tage wurde ich vernommen und gefragt, was ich von dem Häftling wollte und ob ich ihn kenne. Ich verneinte und sagte so nebenbei, dass ich ihn nur begrüssen wollte. So, so, Du wolltest ihn nur begrüssen, aber kennen tut ihr Euch nicht, darum wolltest Du auch seinen Namen wissen. Für Dein Schwindeln bekommst Du 50 Hiebe und Entzug der Arbeit. Ich wurde wieder in den Keller geführt und bekam meine 50 Hiebe, an denen Boxer-Karl wieder beteiligt war.
Als ich am Heizungskeller vorbei kam, sah ich meinen Zellennachbar liegen, der tot war. Er war am Abend zuvor von Boxer-Karl und dem Langen so zerschlagen worden, dass ihm buchstäblich die Fetzen vom Leibe hingen. Der Junge hatte sich noch Abends dem Arzt gemeldet und ich hörte noch wie er gefragt wurde, was ihm fehle. Er gab zur Antwort, er sei geschlagen worden. Der Arzt antwortete: Bei uns wird niemand geschlagen, er sei wohl die Treppe heruntergefallen und die Zellentür wurde zugeschlagen. Als ich den Jungen, der erst 19 Jahre alt war, dort vor der Heizung liegen war, tauchte in mir der Verdacht auf, weil die Heizung in voller Glut stand, den vollen die „Bestien“ bestimmt verbrennen. Im Monat Juni wird doch nicht mehr geheizt. Bei meinen Arbeiten im Keller hatte ich schon den Verdacht geschöpft, dass hier etwas grausiges vor sich gehen muss, da es nach verbranntem Menschenfleisch roch. Mir ist es leider nicht gelungen, wer der der junge Leidensgenosse war und wie seine Eltern hiessen, da wir Einzelhäftlinge nicht zusammen kamen. Denn wie ich schon oben anführte, nur die Annäherung zum Sprechen kostete 50 Hiebe, und dafür hütete sich ein jeder, denn Boxer-Karl hatte einen guten Schlag, das habe ich am eigenen Leibe verspürt. An den Folgen dieser Hiebe habe ich mich drei Operationen unterziehen müssen, eine am Darmausgang die zugewachsen war, die zweite, eine rechtsseitige Urinleitersteinentfernung und die dritte Galle und Leber, sodass mir die Gallenblase entfernt werden musste. Nach dieser Operation habe ich noch 6 Monate - intern - im Krankenhaus liegen müssen, wurde dann arbeitsunfähig entlassen und bin heute Invalidenrentner. Meine Ausführungen, die ich hier gemacht habe, kann ich noch durch Eid bekräftigen. Während meines 6-monate langen Aufenthalts im „Columbiahaus“ habe ich soviel erlebt, dass ich noch seitenlang schildern könnte, was sich dort alles abgespielt hat, und bin gern bereit, dies noch dem Gericht, wenn es gewünscht wird, mitzuteilen.
Anzeige von Johannes Lukowski gegen Karl Pfitzner wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit [Auszüge], undatiert [1948]. Landesarchiv Berlin, B Rep 58 Nr. 11047.